Sensibilisierung

Auszug aus der Broschüre des Landesverband der Gehörlosen Brandenburg und des ZFK e.V. von 2009 

...Die Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel der Menschen....


Michael Loeper  / pixelio.de
Michael Loeper / pixelio.de

Sensibilisierung der Öffentlichkeit

 

Gemäß den Forderungen in Artikel 8 der "UN-Behindertenkonvention" sollen in den Unterzeichnerländern "sofortige, wirksame und geeignete Maßnahmen" ergriffen werden, um "auf allen Ebenen der Gesellschaft" das Bewusstsein für behinderte Menschen zu fördern.

 

Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit ist z.B. eine Möglichkeit, Verständnis und Aufgeschlossenheit für die Probleme Gehörloser und Menschen mit Hörschädigung zu schaffen und Vorurteile ihnen gegenüber abzubauen. Die Sensibilisierungsmaßnahmen sollten auf Mitarbeiter in Betrieben und Institutionen ausgerichtet sein, die Hörgeschädigte beschäftigen, aber auch auf Beschäftigte in allen öffentlich zugänglichen Einrichtungen wie Kliniken, Pflegeheimen, Rehabilitationseinrichtungen, Beratungs- und Betreuungseinrichtungen, Ämtern und Behörden, Verkehrsbetrieben und Flughäfen.

 

Obwohl nahezu jeder 10. Mensch auf der Erde behindert ist und unter einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung leidet, wurden Menschen mit Behinderungen und ihre Probleme und Rechte erst vor wenigen Jahrzehnten zum Gegenstand internationaler und nationaler politischer Anstrengungen. Die erste völkerrechtlich verbindliche UN-Konvention, in der von Behinderten gesprochen wurde, war die "UN-Kinderrechtskonvention" von 1989. Seitdem hat es mehr oder weniger intensive internationale und nationale Bemühungen gegeben, Behinderung zu definieren und Behindertenrecht gesetzlich zu fixieren. Es hat dann weitere 17 Jahre gedauert, bis die UN-Generalversammlung am 13.12.2006 das "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" und das hierzu verfasste Fakultativprotokoll angenommen hat. Deutschland hat die Konvention und das Fakultativprotokoll am 30.03.2007 unterzeichnet und dem mit entsprechendem Gesetz vom 21.12.2008 zugestimmt. Diese UN-Konvention stellt einen bedeutenden Schritt zur Festigung der Rechte behinderter Menschen dar. Sie stärkt die politischen, bürgerlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte und verbietet Diskriminierung. An der Erarbeitung der Konvention waren erstmalig internationale Behindertenorganisationen beteiligt

 

Ein Schwerpunktthema einer modernen Behindertenpolitik ist die Herstellung von Barrierefreiheit im umfassenden Sinne und in allen Lebensbereichen.

 

In § 4  des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (BGG) ist der Begriff "Barrierefreiheit" wie folgt definiert:„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchtgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“

 

Welche Bedeutung hat die Sprache?

 

Die Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel der Menschen. Mit ihr werden Gedanken, Wünsche, Gefühle ausgedrückt und auch ausgetauscht. Sprache ist wesentlich für das Zustandekommen, die Aufrechterhaltung und Gestaltung sozialer Beziehungen.

 

Weltweit wird Sprache überwiegend als Lautsprache praktiziert. Hörende erwerben die Lautsprache auf natürlichem Wege, d.h. im frühen Kindesalter innerhalb von Familien und Gruppen. Auf die Frage, wie genau sich der Prozess des Spracherwerbs bei hörenden Kindern vollzieht, gibt es viele wissenschaftliche Thesen und Theorien. Erwiesen ist jedoch, dass Säuglinge schon nach der Geburt die Fähigkeit besitzen, unterschiedliche Laute  der Mutter zu unterscheiden. Gleichzeitig beginnen sie zu "lallen" und Laute zu produzieren, später ahmen sie Wörter oder Wortteile der Bezugspersonen nach. Das Vermögen, die Sprache mittels Gehör wahrzunehmen, ist für das Erlernen der Lautsprache ebenso wichtig wie das sprachliche Vorbild der Bezugspersonen.

 

Gehörlose Säuglinge durchlaufen die ersten beiden Phasen des Spracherwerbs ähnlich wie hörende Säuglinge: In den ersten Monaten findet eine nonverbale Kommunikation zwischen den engsten Bezugspersonen und dem Säugling statt, die hauptsächlich durch Mimik und Gesten funktioniert. Auch die Lallphase verläuft ähnlich, d.h. der gehörlose Säugling produziert Laute. Später, etwa zu dem Zeitpunkt, wenn hörende Säuglinge beginnen, Lautfolgen zu bilden, stellen gehörlose Kinder ihre spontane Lautbildung ein. Sie erleben sich selbst nicht als Verursacher der Töne und können über das Ohr keine Rückmeldung ihrer Bezugspersonen erhalten. Gehörlose Säuglinge sind schon ab dem 6. Monat in der Lage, einfache Gebärden nachzuahmen mittels dieser Gebärden Wünsche auszudrücken. Ähnlich wie hörende Kinder, erlernen gehörlose Kinder, die mit Gebärdensprache aufwachsen, Sprache. "Sie eignen sich nicht nur ein differenziertes Gebärdensprachrepertoire an, sondern erwerben … eine differenzierte und leistungsfähige Grammatik der deutschen Gebärdensprache, die auch das lautsprachlich orientierte Mundbild als konstitutives Element miteinschließt."

 

Gehörlose Kinder gehörloser Eltern erlernen so auf natürlichem Wege die Sprache der Eltern, die Gebärdensprache.

 

Gehörlose Kinder hörender Eltern können weder die Sprache der Eltern, die Lautsprache, auf natürliche Weise erlernen, noch können in den meisten Fällen die Eltern den gehörlosen Kindern die Gebärdensprache als eine Kommunikationsmöglichkeit anbieten. Leider nehmen nicht alle Eltern gehörloser Kinder schon frühzeitig Beratung und Hilfe in Anspruch, um so optimale Voraussetzungen für den Spracherwerb zu schaffen.

 

Gehörlose Kinder, die ohne Gebärdensprache aufwachsen, bewegen sich in der Regel auf der grammatikalischen Ebene von Ein- bis Dreiwortsätzen, während Sätze hörender Kinder in diesem Alter grammatikalisch nahezu vollständig ausgebildet sind.

 

Die Muttersprache gehörloser Menschen, die in einer Gehörlosengemeinschaft aufwachsen, ist die Gebärdensprache. Auch heute noch wird versucht, Gehörlosen in vielen mühsamen Übungsstunden Lautsprache beizubringen, damit sie sich in einer hörenden Welt zurechtfinden, oder vielmehr, damit die hörende Welt mit ihnen weniger Probleme hat. Ein Gehörloser greift aber selbstverständlich und vorzugsweise auf seine Muttersprache zurück, wenn er die Möglichkeit und die Wahl hat. Leider hält sich die Annahme hartnäckig, Gebärden seien nur ein Hilfsmittel, um Wünsche auszudrücken und Mundbilder zu unterstützen.

 

Gebärdensprachen sind wissenschaftlich als eigenständige und vollwertige Sprachen anerkannt. Sie sind visuell wahrnehmbar und werden hauptsächlich von gehörlosen und stark schwerhörigen Menschen als Kommunikationsmittel genutzt. Sie haben sich über Jahrhunderte in der Kommunikation Gehörloser herausgebildet und verwenden neben Mimik, Mundbild und Körperhaltung die Gebärden. Die Gebärdensprachen haben eigene grammatische Strukturen, die sich stark von der Lautsprache der einzelnen Länder unterscheiden. Sie erfüllen die gleichen Anforderungen wie die Lautsprachen. Mit Gebärden können sogar mehrere Informationen parallel zueinander übertragen werden.

 

Jedes Land hat eine eigenständige Gebärdensprache. Die am weitesten verbreitete Gebärdensprache der Welt ist die American Sign Language (ASL). Im deutschsprachigen Raum sind die Deutsche Gebärdensprache (DGS), die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) und die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS) weit entwickelt, erforscht und verbreitet. Während sich die Lautsprachen der Länder stark voneinander unterscheiden, sind die Gebärdensprachen einander wesentlich ähnlicher. Bei internationalen Veranstaltungen kommt in letzter Zeit mehr und mehr die Internationale Gebärdensprache zum Einsatz.

 

Alternativ können auch folgende Kommunikationsmittel eingesetzt werden:

 

Die Lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG)

 

Mittels der LBG wird die gesprochene Sprache visualisiert, d.h. jedem Wort wird genau eine Gebärde zugeordnet und gleichzeitig wird die Stimme eingesetzt. Neben Substantiven, Verben und Adjektiven werden im Unterschied zur DGS Artikel, Pronomen und Präpositionen und auch Flexionsendungen gebärdet, d.h. mit Handzeichen markiert. LBG werden hauptsächlich von spät ertaubten und schwerhörigen Menschen benutzt.

 

Die Lautsprachunterstützenden Gebärden (LUG) / Unterstützte Kommunikation (UK)

 

Bei den LUG bzw. bei der UK werden nur die Bedeutung tragenden Wörter wie z.B. Substantive, Verben, Adjektive während des Sprechens gebärdet. LUG ist eine Möglichkeit, z.B. hörenden Kindern, deren Lautsprache ungenügend entwickelt ist, den Zugang zur gesprochenen Sprache zu erleichtern. Durch die Anwendung von LUG lässt sich der Inhalt von Mitteilungen leichter erschließen. Mitteilungsmöglichkeiten werden bedeutend erweitert.

 

UK wird bei der Kommunikation mit Menschen eingesetzt, die keine Lautsprache haben. Sie kommt u.a. in der Frühförderung, in Kliniken, Hospizen sowie in Alters- und Pflegeheimen zur Anwendung. Bei der UK greift der Therapeut die Mimik und Gestik des behinderten Menschen auf und verwendet sie bei der Kommunikation. Hilfsmittel sind z.B. Puppen, Fotos, Bilder, Bücher und Symbole sowie Computer.

 

Weiterhin auch das taktile Gebärden, die Schriftdolmetscher, das Fingeralphabet und das Lormen.